Montag, 9. Januar 2017

Der Rütlischwur - gab es ihn wirklich?

Dass die Schweiz eine nun schon seit Jahrhunderten bestehende und ebenso sehr gut funktionierende Demokratie ist, muss nicht mehr bewiesen werden. Doch, was ist mit der Zeit, in der die Schweiz beziehungsweise dieser erste Verbund an Dörfern entstand, aus dem heraus sich die heutige Schweiz bildete? Fand der Rütlischwur tatsächlich statt? Ist der Bundesbrief von 1291 tatsächlich der schriftliche Beleg für die Gründung der Schweiz am 1. August?

Fakten

Im Grunde besteht nur ein einziges Faktum zu der Schweizer Entstehungsgeschichte und dieses Faktum lässt auch noch genügend Spielraum für Spekulationen. Dabei handelt es sich um das Alter des Bundesbriefes beziehungsweise des Pergaments, auf dem in lateinischer Sprache ein Rechtsbündnis verfasst wurde. Nach der sogenannten C14-Methode wurde das Alter des Pergaments auf den Zeitraum von 1252 und 1312 festgelegt. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 85 %. 

Zum Inhalt des Bundesbriefes ist zudem zu sagen, das die Datierung durch die oder den Verfasser ungenau vorgenommen worden ist. Dort steht nur „Zu Anfang August 1291“. Ein weiterer Fakt ist, dass der Bundesbrief inhaltlich eigentlich kein politisches Bündnis enthält, sondern lediglich einen gegenseitigen Rechtsbeistand der drei Gemeinden Uri, Schwyz und Nidwalden, wobei es einige Unsicherheit bezüglich Nidwalden und dessen Schriftform im lateinischen gibt. Es könnte sich auch um das Urserental handeln.
In keiner Weise wird in diesem Brief von einem Bündnis politischer Art gesprochen, noch wollen die Unterzeichner eine Loslösung gegen das damals herrschende Haus Habsburg. Vielmehr ging es darum, der durch den Tod des deutschen Königs Rudolf I. entstandenen Rechtsunsicherheit durch eine gegenseitige Verpflichtung entgegenzutreten.

Der Rütlischwur

Die Geschichte des Rütlischwurs geht auf den Schweizer Historiker und Chronisten Aegidius Tschudi zurück, der 1505 in Glarus geboren wurde und 1572 auf der Burg Gräpplang bei Flums verstarb. Tschudi war ein Angehöriger einer schon sehr lang ansässigen Landamannsfamilie und sehr wohlhabend, sodass Ihm genügend Zeit für seine historischen Forschungen blieben. Tschudi verfasste im Zeitraum von 1534 bis 1536 die „Chronicon Helveticum“. Inhaltlich ging es in dieser Chronik um die Landesgeschichte vom Jahr 1001 bis 1470. Dabei bediente sich Tschudi unter anderem auch dem „weissen Buch von Sarnen“, einem ab 1470 handschriftlich verfassten Buch des Obwaldner Landschreibers Hans Schriber. Darin kommen auch Sagen und Legenden aus der Gegend von Uri, Schwyz und Unterwalden zur Sprache. Ganz wichtig ist dabei, das darin geheime Zusammenkünfte auf dem Rütli beschrieben werden genauso wie die Geschichte von Thall und Gijssler, aus der Friedrich Schiller in späteren Jahrhunderten den „Wilhelm Tell“ formte.

Folglich ist anzunehmen, dass die bestehende Geschichte zum Rütlischwur, der damals aber noch nicht datiert war, einem handschriftlich verfassten Notizbuch aus dem Jahr 1470 entnommen und von einem Historiker des 16. Jahrhunderts übernommen wurde, der das Datum für den Rütlischwur dann auf den 8. November 1307 festlegte. Tschudi legte ebenso fest, wer an diesem Tag am Rütlischwur beteiligt gewesen ist. Werner Stauffacher von Schwyz, Arnold von Mechtal aus Unterwalden und Walter Fürst von Uri. Aber wie gesagt, das sind Inhalte, die auf durchaus zweifelhaften Quellen beruhen, wenn sie denn überhaupt in irgendeiner Weise belegt sind. Tschudi war zwar ein eifriger Sammler von Urkunden, aber keineswegs ein ausgebildeter Historiker und zudem ein Politiker, der vehement für den katholischen Glauben eintrat. Wir haben hier also zwei Datierungen, einmal den 8. November 1307, der von Tschudi festgelegt wurde und einmal den 1. August 1291.

Tatsächlich wurde bis ins 20.Jahrhundert gleichermassen der 8. November als Gründungstag der Schweiz gefeiert. Allerdings nicht Schweizweit. Der heute populäre 1. August geht auf ein Jubiläum zurück. Das für Jubiläen Zahlen und Fakten etwas „zurecht gerückt“ werden, ist ja nun keineswegs ein Geheimnis und findet auch heute noch statt. In diesem Fall ging es um das 700jährige Bestehen der Stadt Bern, das im Jahr 1891 gefeiert werden sollte. Die Berner dachten sich, dass eine Feier zum 600jährigen Bestehen der Schweiz gleichzeitig mit einem 700jährigen Bestehen von Bern das Jubiläum doch um einiges festlicher machen würde. Also legten die Berner Stadtoberen dem Bundesrat am 21. November 1889 einen Bericht vor, in dem auf den Bundesbrief von 1291 verwiesen wird und damit auf den 1. August, um zu belegen, dass die Schweiz im Jahr 1291 gegründet und damit exakt 100 Jahre jünger als die Stadt Bern war. Wodurch sich wunderbar ein Schweizer mit einem Berner Stadtjubiläum verbinden lies. Heute würde das als perfektes Marketing bezeichnet werden. Der 1. August ist im Übrigen erst seit 1994 ein schweizweiter Feiertag.

Was bleibt vom Rütlischwur?

Kurz gesagt: nur Sagen und Legenden. Es besteht nicht ein einziger unwiderlegbarer Beweis, das es den Rütlischwur je gegeben hat. Weder zum 8. November 1307 noch zum 1. August 1291. Das eine wie das andere Datum ist willkürlich festgesetzt worden. Wenn es überhaupt ein Dokument gibt, das einen gewissen Wert für ein Gründungsdatum besitzt, so ist es der Bundesbrief von Brunnen, der in deutscher Sprache verfasst wurde und in dem zum ersten Mal der Begriff Eidgenossen auftaucht. Dieser Bundesbrief ist auf den 9. Dezember 1315 datiert. Namentlich werden in diesem Brief keine Personen genannt und es geht auch um keinen Schwur, sondern um die Erneuerung des Rechtsbeistand der drei Ortschaften Uri, Schwyz und Unterwalden.

Es bleibt also nicht vielmehr als Verwirrung. Aber im Grunde ist es nicht wirklich schlimm, das der Rütlischwur, wie er heute bekannt ist, mit größter Wahrscheinlichkeit nie stattgefunden hat. Denn die Schweiz selbst entstand nicht aus Bündnissen kleinerer Ortschaften im 13. oder 14. Jahrhundert. In der Realität war die politische Findung der Schweiz ein über viele Jahrhunderte andauernder Prozess, der immer wieder durch Kriegswirren und Einflussnahme anderer Länder unterbrochen oder verändert wurde.

Ein gutes Schlusswort wäre der erste Teil im zweiten Satz im Bundesbrief von Brunnen, hier im Original-Dialekt:“ Wande menschlicher sin blöde und zerganglich, daz man der sachen und der dinge diu langwirig und stete solden beliben, so lichte und so balde vergizzet……“

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