Dass die Schweiz eine nun schon seit Jahrhunderten
bestehende und ebenso sehr gut funktionierende Demokratie ist, muss nicht mehr
bewiesen werden. Doch, was ist mit der Zeit, in der die Schweiz beziehungsweise
dieser erste Verbund an Dörfern entstand, aus dem heraus sich die heutige
Schweiz bildete? Fand der Rütlischwur tatsächlich statt? Ist der Bundesbrief
von 1291 tatsächlich der schriftliche Beleg für die Gründung der Schweiz am 1. August?
Fakten
Im Grunde besteht nur ein einziges Faktum zu der Schweizer
Entstehungsgeschichte und dieses Faktum lässt auch noch genügend Spielraum für
Spekulationen. Dabei handelt es sich um das Alter des Bundesbriefes
beziehungsweise des Pergaments, auf dem in lateinischer Sprache ein
Rechtsbündnis verfasst wurde. Nach der sogenannten C14-Methode wurde das Alter
des Pergaments auf den Zeitraum von 1252 und 1312 festgelegt. Mit einer
Wahrscheinlichkeit von 85 %.
Zum Inhalt des Bundesbriefes ist zudem zu sagen, das die
Datierung durch die oder den Verfasser ungenau vorgenommen worden ist. Dort
steht nur „Zu Anfang August 1291“. Ein weiterer Fakt ist, dass der Bundesbrief
inhaltlich eigentlich kein politisches Bündnis enthält, sondern lediglich einen
gegenseitigen Rechtsbeistand der drei Gemeinden Uri, Schwyz und Nidwalden,
wobei es einige Unsicherheit bezüglich Nidwalden und dessen Schriftform im
lateinischen gibt. Es könnte sich auch um das Urserental handeln.
In keiner Weise wird in diesem Brief von einem Bündnis
politischer Art gesprochen, noch wollen die Unterzeichner eine Loslösung gegen
das damals herrschende Haus Habsburg. Vielmehr ging es darum, der durch den Tod
des deutschen Königs Rudolf I. entstandenen Rechtsunsicherheit durch eine
gegenseitige Verpflichtung entgegenzutreten.
Der Rütlischwur
Die Geschichte des Rütlischwurs geht auf den Schweizer
Historiker und Chronisten Aegidius Tschudi zurück, der 1505 in Glarus geboren
wurde und 1572 auf der Burg Gräpplang bei Flums verstarb. Tschudi war ein
Angehöriger einer schon sehr lang ansässigen Landamannsfamilie und sehr
wohlhabend, sodass Ihm genügend Zeit für seine historischen Forschungen
blieben. Tschudi verfasste im Zeitraum von 1534 bis 1536 die „Chronicon
Helveticum“. Inhaltlich ging es in dieser Chronik um die Landesgeschichte vom
Jahr 1001 bis 1470. Dabei bediente sich Tschudi unter anderem auch dem „weissen
Buch von Sarnen“, einem ab 1470 handschriftlich verfassten Buch des Obwaldner
Landschreibers Hans Schriber. Darin kommen auch Sagen und Legenden aus der
Gegend von Uri, Schwyz und Unterwalden zur Sprache. Ganz wichtig ist dabei, das
darin geheime Zusammenkünfte auf dem Rütli beschrieben werden genauso wie die
Geschichte von Thall und Gijssler, aus der Friedrich Schiller in späteren
Jahrhunderten den „Wilhelm Tell“ formte.
Folglich ist anzunehmen, dass die bestehende Geschichte zum
Rütlischwur, der damals aber noch nicht datiert war, einem handschriftlich
verfassten Notizbuch aus dem Jahr 1470 entnommen und von einem Historiker des
16. Jahrhunderts übernommen wurde, der das Datum für den Rütlischwur dann auf
den 8. November 1307 festlegte. Tschudi legte ebenso fest, wer an diesem
Tag am Rütlischwur beteiligt gewesen ist. Werner Stauffacher von Schwyz, Arnold
von Mechtal aus Unterwalden und Walter Fürst von Uri. Aber wie gesagt, das sind
Inhalte, die auf durchaus zweifelhaften Quellen beruhen, wenn sie denn
überhaupt in irgendeiner Weise belegt sind. Tschudi war zwar ein eifriger
Sammler von Urkunden, aber keineswegs ein ausgebildeter Historiker und zudem
ein Politiker, der vehement für den katholischen Glauben eintrat. Wir haben
hier also zwei Datierungen, einmal den 8. November 1307, der von Tschudi
festgelegt wurde und einmal den 1. August 1291.
Tatsächlich wurde bis ins 20.Jahrhundert gleichermassen der 8. November
als Gründungstag der Schweiz gefeiert. Allerdings nicht Schweizweit. Der heute
populäre 1. August geht auf ein Jubiläum zurück. Das für Jubiläen Zahlen
und Fakten etwas „zurecht gerückt“ werden, ist ja nun keineswegs ein Geheimnis
und findet auch heute noch statt. In diesem Fall ging es um das 700jährige
Bestehen der Stadt Bern, das im Jahr 1891 gefeiert werden sollte. Die Berner
dachten sich, dass eine Feier zum 600jährigen Bestehen der Schweiz gleichzeitig
mit einem 700jährigen Bestehen von Bern das Jubiläum doch um einiges festlicher
machen würde. Also legten die Berner Stadtoberen dem Bundesrat am 21. November
1889 einen Bericht vor, in dem auf den Bundesbrief von 1291 verwiesen wird und
damit auf den 1. August, um zu belegen, dass die Schweiz im Jahr 1291
gegründet und damit exakt 100 Jahre jünger als die Stadt Bern war. Wodurch sich
wunderbar ein Schweizer mit einem Berner Stadtjubiläum verbinden lies. Heute
würde das als perfektes Marketing bezeichnet werden. Der 1. August ist im Übrigen
erst seit 1994 ein schweizweiter Feiertag.
Was bleibt vom Rütlischwur?
Kurz gesagt: nur Sagen und Legenden. Es besteht nicht ein
einziger unwiderlegbarer Beweis, das es den Rütlischwur je gegeben hat. Weder
zum 8. November 1307 noch zum 1. August 1291. Das eine wie das andere
Datum ist willkürlich festgesetzt worden. Wenn es überhaupt ein Dokument gibt,
das einen gewissen Wert für ein Gründungsdatum besitzt, so ist es der
Bundesbrief von Brunnen, der in deutscher Sprache verfasst wurde und in dem zum
ersten Mal der Begriff Eidgenossen auftaucht. Dieser Bundesbrief ist auf den 9. Dezember
1315 datiert. Namentlich werden in diesem Brief keine Personen genannt und es
geht auch um keinen Schwur, sondern um die Erneuerung des Rechtsbeistand der
drei Ortschaften Uri, Schwyz und Unterwalden.
Es bleibt also nicht vielmehr als Verwirrung. Aber im Grunde
ist es nicht wirklich schlimm, das der Rütlischwur, wie er heute bekannt ist,
mit größter Wahrscheinlichkeit nie stattgefunden hat. Denn die Schweiz selbst
entstand nicht aus Bündnissen kleinerer Ortschaften im 13. oder 14.
Jahrhundert. In der Realität war die politische Findung der Schweiz ein über
viele Jahrhunderte andauernder Prozess, der immer wieder durch Kriegswirren und
Einflussnahme anderer Länder unterbrochen oder verändert wurde.
Ein gutes Schlusswort wäre der erste Teil im zweiten Satz im Bundesbrief
von Brunnen, hier im Original-Dialekt:“ Wande menschlicher sin blöde und
zerganglich, daz man der sachen und der dinge diu langwirig und stete solden
beliben, so lichte und so balde vergizzet……“